Samstag, 10 Uhr. Wie jede
Woche um diese Zeit schnüre ich meine Laufschuhe und spurte los. Unsere Untermieterin blickt mir irritiert hinterher. Auch mein Nachbar von gegenüber schüttelt missbilligend den Kopf. Seiner Meinung nach sollte ein Mann
am Samstag Vormittag etwas Nützlicheres tun, als sinnlos durch die Gegend zu rennen.Nur ein paar Häuser weiter laufe ich an meinem Arbeitskollegen Peter Maier vorbei, der gerade auf dem Gehweg kniet und
schweißgebadet versucht, die Rillen zwischen den Gehwegplatten vom Unkraut zu befreien. Ich grüße kurz, laufe weiter und weiß ganz genau, was der jetzt denkt. Auf der letzten Betriebsfeier hat er mir bereits verraten,
dass er nichts von diesen egoistischen Läufern hält, die sich einfach das Recht herausnehmen, vor dem Alltag davon zu laufen, um für einige Stunden für nichts und niemanden erreichbar zu sein.
Kurz danach
trabe ich auf meinen Schwager Franz zu, der in der Hofeinfahrt seines Hauses steht und sorgsam die Nummernschilder seines Mercedes abschraubt. „Willst du die Kiste verkaufen?“, rufe ich ihm von weitem zu. „Nein, nur
polieren. Und damit ich überall drankomme, müssen eben die Schilder weg“, tönt er zurück. Ich winke ihm lachend zu und biege um die Ecke Richtung Ortsausgang.
Am Ende der Straße passiere ich das Gasthaus
„Zum Ochsen“. Etwa ein Dutzend Männer sitzt am Stammtisch und prostet sich gerade mit randvoll gefüllten Bierkrügen zu. Als ich vorbeilaufe, gaffen sie ungläubig und fassungslos zu mir herüber und ich merke, wie sie
hinter meinem Rücken irgendwelche stumpfsinnigen Witze über mich reißen und mich auslachen.
Endlich komme ich auf das freie Feld. Ich biege ab auf den Trampelpfad, der hinüber zum Wald führt, laufe an
blühenden Wiesen und üppigen Kastanienbäumen vorbei und lasse den Alltag und die Arbeitswoche hinter mir. Für etwa zwei Stunden versinke ich in vollkommener Stille. Ich höre nichts, als meine monotonen Schritte und
gelegentlich ein Rascheln im Gras oder ein Zwitschern auf den Bäumen. Unbewusst verarbeite ich die Ereignisse der letzten Tage und mit zunehmender Erschöpfung sammle ich neue Kraft für die kommende Woche.
Zugegeben: Der Lack unter dem Nummernschild meines Autos hat noch nie Politur gesehen und zwischen unseren Gehwegplatten erfreuen sich die unterschiedlichsten Kräuter ihres Lebens. Aber wenn ich samstags gegen 12.30 Uhr
ausgelaugt, verschwitzt und übelriechend von meinem Lauf nach Hause komme, geht es mir garantiert viel besser, als all meinen Nachbarn und Bekannten, die vor lauter vermeintlichen Aufgaben und Verpflichtungen einfach
keine Zeit zum Laufen finden.
(c) Klaus Eppele, Karlsruhe,